[Jenling] Vortrag am Mo, den 12.05., "Elevational deixis in narrative" - "Liebe Liste"
Udo Hahn
udo.hahn at uni-jena.de
Thu May 8 08:17:52 CEST 2025
Sehr geehrter Herr von Waldenfels,
ich erlaube mir eine Replik auf Ihre gestrige Mail.
"Listen" haben keine (Menschen als) Mitglieder, sondern enthalten
bestenfalls die Namen von Mitgliedern, also Bezeichnungsreferenzen auf
Menschen. Solche Verträglichkeitsanforderungen eines Lexems an seinen
Argumentkontext kennen Linguisten je nach theoretischer Orientierung
auch als thematische Rollen, Theta-Rollen oder Typen-Constraints. Die
Verletzung dieser Beschränkungen führt zu Rollen- bzw. Typenkonflikten
wie bei "Listenmitglied". Man ist Mitglied eines sozialen Konstrukts
(Partei, Verein usw.), aber nicht eines Artefakts wie Liste.
Nun sind Metonymien systematisch durch Typenkonflikte markiert. Diese
Konflikte werden aber durch sozial konventionalisierte Muster, etwa
- Producer-for-Product (“I parked the BMW outside”),
- Part-for-Whole (“There are a lot of good heads in this university”),
- Place-for-Institution/Event/Product (“The White House announced . . .”),
- Container-for-Contents, Material-for-Object, ...
sprachlich legitimiert bzw. repariert.
"Listenmitglieder" erfüllt keines der mir bekannten Muster (s.a.
Katja Markert & Udo Hahn, Understanding metonymies in discourse, In:
Artificial Intelligence 135 (2002), pp. 145–198), 'Liste' ist also
*k*"eine metonymische Referenz auf die 'Listenmitglieder'". Es gibt
demnach sehr wohl etwas zu beanstanden. Das Gebrauchsargument (ähnlich
wie beim noch absurderen "Liebe alle/Alle") sollte die Reflexion über
den Gebrauch - gerade als Linguist - doch wirklich nicht verhindern.
Meine Ausgangsbemerkung ist folglich keine Geschmackssache, sondern eine
Systemsache - sie basiert auf den gemeinhin akzeptierten
Konventionen/Regeln des deutschen Sprachsystems. Und diese sollten
(nicht nur) Linguisten doch respektieren, auch in informellen
Genre-Kontexten wie E-Mails.
Mit freundlichen Grüßen
Udo Hahn
P.S.: Ich bevorzuge die personalisierte [Anrede] und eine
konventionalisierte [Abschiedsformel] in einem Diskurs. Aber das ist nun
wirklich eine Geschmackssache.
Am 07.05.2025 um 13:24 schrieb Ruprecht von Waldenfels:
> [Anrede]
> Listen kann man durchaus lieben, wie so vieles mehr, aber das wird durch
> die Anrede nicht ausgedrückt, wie auch bei /Liebes Publikum/ oder /Liebe
> Polizei /(also gängig) nicht unbedingt Liebe ausgedrückt wird.
>
> Vielmehr signalisiert 'liebe', dass es sich um eine Anrede handelt,
> 'Liste' hingegen ist eine metonymische Referenz auf die Listenmitglieder.
>
> Aus linguistischer Sicht ist somit aus meiner Sicht kaum etwas zu
> beanstanden, verwendet wird sie auch immer häufiger - ansonsten eher
> eine Geschmackssache als ein Sprachverfall.
>
> [Abschiedsformel]
>
> Ruprecht von Waldenfels
>
>
>
>
> Am 07.05.25 um 12:39 schrieb Udo Hahn:
>> Sehr geehrte auf der Jenaer Linguisten-Liste eingetragene Kollegen,
>>
>> kann man Listen wirklich "lieben"? Ernsthaft? Als Linguist - und die
>> meisten Listeneinträge dürften auf akademisch ausgebildete Linguisten
>> referenzieren - sträuben sich mir alle Haare bei diesem abstrusen,
>> tendenziell aberwitzig lässigen und unreflektierten Sprachgebrauch.
>> Wie weit soll der Sprachverfall auch im akademischen Umfeld
>> voranschreiten, ohne dass dies moniert wird?
>>
>> Meine Bitte: Überlegen Sie, bevor Sie Anreden außerhalb jeglicher
>> Sprachkonventionen formulieren. Gerade als Linguisten.
>>
>> Mit freundlichen Grüßen
>>
>> Prof. Dr. Udo Hahn (pens.)
>> Ehemaliger Lehrstuhl für Angewandte Germanistische Sprachwissenschaft
>> (Computerlinguistik), FSU Jena
>>
>>
>> Am 07.05.2025 um 12:12 schrieb Ivan Levin:
>>> Liebe Liste,
>>>
>>> am *Montag, den 12.05., um 16 Uhr* findet der Vortrag von *Michael
>>> Daniel* (Universität Tübingen) zum Thema*„Elevational deixis in
>>> narrative: data from East Caucasian“* im *Raum 301, Ernst-Abbe-Platz
>>> 8*, statt.
>>>
>>> Alle, die sich für Deixis oder die Sprachen des Kaukasus
>>> interessieren, sind herzlich eingeladen!
>>>
>>> *Kurze Annotation:*
>>> The goal of our study is to explore the use of elevational
>>> demonstratives in narratives. We consider the use of demonstrative
>>> pronouns in two distantly related languages of the East Caucasian
>>> (Nakh- Daghestanian) language family, Mehweb (Dargwa) and Tukita
>>> (Andic). We find that both languages use elevational demonstratives
>>> in narratives, but strongly differ in the patterns of their use. We
>>> also find variation in the choice of demonstrative pronouns across
>>> the speakers within each of the two languages.
>>>
>>> Mit freundlichen Grüßen
>>> Ivan Levin
>>> Institut für Slawistik und Kaukasusstudien
>>>
>>
>
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